12.03.2012

Ein Wechselbad der Gefühle


Ein persönlicher Brief von Manfred Koller, Betriebsratsvorsitzender der ZVZ Zentrum GmbH:

26 Jahre lang stand ich von Montag bis Samstag um 2.15 Uhr auf und fuhr zur Arbeit. Am 29.2.2012 kam ich in unsere Verteilstelle in der Sonnenstraße 25 und traf dort unseren Geschäftsführer. Er übergab mir sowie allen anderen Mitarbeitern der Fa. ZVZ folgende persönliche Mitteilung:

Sehr geehrter Herr Koller,
wie am 12.01.2012 bekannt gegeben und auf den Betriebsversammlungen am 16.01.2012 und 07.02.2012 nochmals besprochen, besteht in der Zeitungsvertrieb Zentrum GmbH ab dem 01.03.2012 keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr. Aus diesem Grund muss die Zeitungsvertrieb Zentrum GmbH ab dem 01.03.2012 auf die Erbringung Ihrer Arbeitsleistung verzichten. Sie brauchen also ab dem 01.03.2012 nicht mehr zur Arbeit antreten. Sie haben gemäß den gesetzlichen Vorschriften Anspruch auf Annahmeverzugslohn.
Mit freundlichen Grüßen, Klaus Flörke, Geschäftsführer

Bingo! Ich – wie auch alle betroffenen Kolleginnen und Kollegen – bleibe noch ungekündigt. Der Arbeitgeber kann die Kündigung aus formalen Gründen noch nicht aussprechen. Sein Problem. Ich brauche nicht mehr zur Arbeiten gehen und bekomme weitgerhin Lohn. Juhu! Wer wünscht sich das nicht?.

Danke, Herr Flörke!  Danke, Herr Baldewein! Danke, Süddeutsche Zeitung! Die haben Geld!  Danke Herr Rebmann! Und, ach ja, Herr Haaks, Sie sind so großherzig. Auch wenn´s nur aus purer Not ist, weil das halt mit der Expresskündigung nicht so hinhaut. 

Einziger Wehrmutstropfen: Weil viele Abonnenten meine Telefonnummer haben, kamen bis in den späten Nachmittag hinein Anrufe, wo denn die Zeitung bleibt. Denn gleich am ersten Tag ohne uns „Ex“-Zusteller/innen ging gleich alles schief.

Aber bei aller Freude und bei aller Ironie, es gibt auch noch eine innere Wahrheit!

Und die Wahrheit ist, dass es mir gar nicht gut geht, dass ich traurig bin, weil die Fa. ZVZ nach über 20 Jahren geschlossen wird. Die Kolleginnen und Kollegen, die mir ans Herz gewachsen sind und die mich mit überwältigender Mehrheit zum Betriebsratvorsitzenden gewählt haben, stehen jetzt auf der Straße. Im ganzen Stadtgebiet wird unter den Zustellern verbreitet, dass der Betriebsrat an der Betriebsschließung selber schuld ist. Das gipfelt in der Aussage „Das habt ihr nun davon“. Da frage ich mich schon, ob ich alles richtig gemacht habe?

Ja, wir haben uns mit der Gewerkschaft zusammengetan und vom Arbeitgeber mehr Geld gefordert! Ja, wir haben uns gegen die neuen Lohnstrukturen zur Wehr gesetzt! Ja, wir haben Warnstreiks durchgeführt! Ja, wir sind auf Schulung gegangen! Ja, wir haben versucht, nachdem unser Geschäftsführer uns permanent ignoriert hat, Beteiligungsrechte auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Und, richtig, das hat den Arbeitgeber Geld gekostet.

Betriebsräte fallen nicht vom Himmel, sie müssen ausgebildet werden, damit sie ihre Rechte kennen und durchsetzen können. Sie müssen lernen, was Mitbestimmung im Betrieb ist. Tun sie das nicht, dann sind die Betriebsratsitzungen Kaffeekränzchen, bei denen man sich über die Zustände im Betrieb beschwert. Betriebsräte die nicht auf Schulung gehen sind wirkungslos.
Betriebsräte dürfen nur zusammen mit Gewerkschaften Lohnerhöhungen und Tarifverträge fordern. Scheitern die Verhandlungen oder kommen sie nicht voran, ruft die zuständige Gewerkschaft zu Streikmaßnahmen auf.

Bei der Einführung neuer Lohnstrukturen haben Betriebsräte ein zwingendes Mitbestimmungsrecht. Verweigert der Arbeitgeber dazu Verhandlungen, ist der Rechtsweg die Anrufung der Einigungsstelle. Das Arbeitsgericht München hat folgerichtig die Einigungsstelle eingesetzt.

Unser Geschäftsführer, hat dem Betriebsrat gegenüber erklärt, dass ihn Mitbestimmungsrechte nicht interessieren. Er hat gedacht, dass Tarifverhandlungen unverbindliche Informationsgespräche mit ver.di sind. Dementsprechend hat er auf den Tisch gehauen und damit gedroht, was er uns noch alles wegnehmen wird, wenn wir weiterhin einen Tarifvertrag wollen. Er hat dies mit sichtlicher Freude getan.

Mitbestimmungsrechte und Tarifautonomie sind Bestandteile unserer Verfassung und Grundpfeiler der Demokratie. Politiker aller Parteien in Deutschland sind zurecht stolz darauf. Arbeitgeber, die diese Rechte mit Füßen treten, müssen gestoppt werden.

Ich frage hier alle, die mit dem Finger auf den Betriebsrat zeigen: Seid Ihr ahnungslos, oder habt Ihr das alles vergessen? Ich verstehe Eure Angst, aber wie viel wollt Ihr noch ausblenden im Leben? Wie lange wollt Ihr noch warten? Bis es Euch selber trifft?
Vielleicht seid Ihr auch damit einverstanden, dass sie erst Eure Rechte mit Füßen treten und dann mit leeren Taschen nach Hause schicken? Wenn Ihr Euch trotzdem wehrt, was macht Ihr mit denen, die dann mit dem Finger auf Euch zeigen?

Ich bin persönlich enttäuscht und wütend über all die Lügen, die mir aufgetischt wurden von Vorgesetzten und von Arbeitgeberseite. Ich bin die letzten Tage mit geballter Faust in der Tasche zur Arbeit gegangen. Jetzt habe ich bei allem Ärger und Frust etwas gewonnen, was ich mir in letzter Zeit immer mehr gewünscht habe: inneren Frieden.  

Unser Betriebsrat hat gut gearbeitet. Wir waren immer gesprächsbereit und berechenbar für den Arbeitgeber. Das der nichts von uns wissen wollte, war seine Entscheidung. Wahrscheinlich ist er auch noch stolz darauf, dass er uns damit an die Wand gefahren hat. Ich kann aufrecht gehen und würde in der Nachbetrachtung nicht viel anders handeln.

Ich danke der Belegschaft und ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die zu mir und zum Betriebsrat gehalten haben. Ich werde mich zusammen mit meinen Betriebsratkollegen dafür einsetzen, dass ein Sozialplan zustande kommt, der Euch den Abschied erleichtert.

Es bleibt festzuhalten: Die Geschäftsleitung der ZVZ hat keinen Betriebsrat gewollt, hat sich jeder Zusammenarbeit verweigert und wollte auch keine ernsthaften Verhandlungen zu einem fairen Lohn. Nicht alle handeln so. Die Anständigen unter ihnen sind beschämt und haben uns das auch wissen lassen.

Manfred Koller
ZVZ Betriebsratvorsitzender                        




                         

18 Kommentare:

  1. Jens Schulenburg12.03.12, 07:48

    Hallo Manni
    Wir haben einige Jahre, wenn auch nicht Seite an Seite,so doch jeder in seiner ZV gekämpft. Ich kann alles nur bestätigen was du sagst, da wir ja den selben GF haben. Wir werden genau so ignoriert wie Ihr wie Du ja weißt. Wir werden den Kampf fort führen und hoffen das sich vielleicht doch noch irgendwer in der obersten Führungsetage besinnen wird. Ich wünsche Dir und deinen Kollegen alles Gute und wenn nicht mehr doch wenigstens einen guten Sozialplan.

    Jens Schulenburg
    Betriebsratvorsitzender ZVR

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  2. Diurnifer_Dux12.03.12, 19:04

    Die SZ-Logistik kann nur noch vorwärts marschieren, denn der Rückzug wäre ein gewaltiger Verlust an Einfluss und Ansehen. Im Verlag ist es ähnlich wie in einem Fußballverein: am Anfang stehen immer die Treuebekenntnisse zum Trainer, aber wenn das Abstiegsgespenst droht, wird die Trennung vom Trainer unausweichlich. Wenn der Verlag so weitermacht, wird er noch zur Galionsfigur des Sozialdarwinismus avancieren. Diurnifer_Dux

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  3. Danke für diese Information! Lasst diese Erklärung bitte ganz oben stehen, damit auch Abonnenten ohne Telefonnummer etwas davon haben! Ein Hinweis auf die folgenden Beiträge genügt. Und weiter so!

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  4. Lieber Mani, im letzten Jahr haben wir darüber gesprochen, was uns drohen könnte. Die ZVH war ja das warnende Beispiel. Die Frage war: aufrecht gehen oder Schwanz einziehen. Und dann stand fest: aufrecht gehen. Wir haben auch darüber diskutiert, ob die SZ Logistik so dreist und so doof ist, noch mal zig Träger auf die Straße zu setzen. Das hat doch schon bei der ZVH eine Schweinegeld gekostet. Ich hab´ geglaubt, die wären schlauer geworden. Tja, was soll ich sagen, manchmal wirft der Herr das Hirn halt ziemlich weit daneben. Ja, auch ich bin wütend. Aber, liebe SZ Logistiker, wir versprechen euch, in der nächsten Zeit einen sehr kühlen Kopf für die noch anstehenden Auseinandersetzungen zu behalten. In diesem Sinne, lieber Mani, der Kampf geht weiter. Zusammen waren, sind und bleiben wir stark.

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  5. Lieber Mani,
    ich werde wenn es mal soweit ist, nach 24 Jahren gemeinsamer Zeit vorher BZG dann ZVZ einen Lieben Arbeitskollegen verlieren,aber ich habe auch einen Freund gewonnen.
    Du hast bis jetzt als Betriebsratsvorsitzender eine tolle Arbeit geleistet und musst nicht im geringsten an Deiner Arbeit zweifeln,mach anderer Betrieb wäre froh so einen Menschen zu haben,
    Diejenigen die mit den Fingern auf uns zeigen,die haben immer noch nicht kapiert was da vor Ihnen abläuft.
    Die ZV´S die ohne Betriebsräte sind,sind Schutzlos dem Arbeitgeber ausgeliefert und werden sich noch wünschen Sie hätten einen Kollegen an Ihrer Seite der Sie unterstützt und Ihre Rechte wahrnimmt.
    Ich von meiner Seite möchte mich beim Manfred für die schöne Zeit bedanken.
    Wir werden ja noch miteinander die Betriebsschliessung mit dem Sozialplan abwickeln.
    Lehne Dich zurück und schau auf den Hang gegenüber,und Du wirst sehen das Deine Seite die schönere ist.

    Freundschaftliche Grüße
    H.Thanner

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  6. Lieber Manfred Koller, liebe Betriebsräte und liebe Streikende in der ZVZ. Ihr habt völlig korrekt und im Sinne der Zusteller gehandelt. Ihr habt das neue Vergütungsmodell erst einmal gestoppt. Richtig! Das neue "Vergütungsmodell" ist doch einzig auf das Ziel ausgerichtet, die 30 % Lohnabsenkung durchzusetzen. Oder hat jemand noch die Illusion, damit solle "Gerechtigkeit" geschaffen werden?! (Es soll ja immer noch Träumer geben...) Ihr habt versucht, ein faires Vergütungsmodell, ja sogar einen Tarif durchzusetzen (und das geht nur mit der Gewerkschaft, was ein paar Kollegen immer noch nicht kapieren). Und ihr habt versucht, eurem Geschäftsführer verständlich zu machen, dass er Geschäfte führen muss und nicht als Grinsemann der SZ Logistik einfach den Niedergang zu verwalten. Das ist (leider) zu viel Vernunft und Verantwortung für diesen Laden. (Damit meine ich die SZ Logistik und ihre scheinselbstständigen ZVen). Leider habe ich nicht so viel Kreuz und Ausdauer gehabt. Ich hab das Ganze schon vor einiger Zeit hingeschmissen, weil ich die ganze Arroganz und Dummheit, die einem heute aus der "Führungselite" entgegenschlägt, nicht mehr ertragen habe.

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  7. Ich war ca. 2 Jahre bei der ZVZ beschäftigt. Mir hat der Job Spaß gemacht und ich habe gerne den Leser der SZ ihre Zeitung vor die Türe gebracht. Ich will hier ausdrücklich dem Betriebsrat recht geben, und danken das er für uns
    gekämpft hat. Von der Geschäftsleitung der ZVZ und deren Gesellschafter bin ich enttäuscht. Auch ich habe die ersten Tage Anrufe von Abonnenten bekommen die nach ihrer Tageszeitung fragten - und musste ihnen mitteilen dass die ZVZ geschlossen wurde und allen Zustellern gekündigt wird.
    Alle waren erstaunt, und überrascht .einige sagten sie werden ihr Abo abbestellen. Und am Samstagmittag als ich über den Viktualienmarkt ging, der total überfüllt war, sah ich einer unserer Wagen, und einen Zusteller der total gestresst auf einen Zettel mit Adressen schaute. Ich dachte mir nur: der arme Kerl!

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    1. Wie viele Zeitungen trägt der Ärmste in der Stunde aus, 300 oder 30? Warum macht er das? Wie ich gerade gelesen habe (siehe "Diandl von der Au"), haben sogar Schimpansen schon einen IQ von 70. Arno Dübel lacht sich auf seinem Sofa tot.

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  8. Warum werden hier keine Strafanzeigen gestellt?

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  9. Danke für diese Informationen. Ich habe mich schon gewundert, warum ich seit zwei Wochen keine SZ mehr am morgen bekomme, wo ich doch seit mehr als zwölf Jahren mich immer auf eine Zustellung in aller Frühe vor meine Wohnungstür verlassen konnte.
    Jatzt werde ich mein Abo wohl kündigen.

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  10. Ich stelle fest, dass das versammelte Intelligenzpotential der Zeitungsträger gar nicht so übel ist wie Manche, vor allem die Herrschaften von der SZ-Logistik, meinen. Wenn ich mir vorstelle, wie diese Herrschaften von ihrem hohen Ross auf mich herunterschauen würden, bleibe ich lieber mit Platon und Aristoteles hoch oben über den Wolken. Einstein

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    1. ... wie heißt es so schön?
      zeigt niemals mit dem Finger auf die Kleinen, denn diese bringen ihren Herrn die Butter auf das Brot!!!
      Die Kleinen sind gemeinsam stärker als der Herr mit seinem Gefolge!!!

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  11. Lieber Herr Koller, bleiben Sie standhaft! Lassen Sie sich nicht beeindrucken durch die Beschimpfungen der strategisch Unfähigen in allen Zeitungsvertrieben, die Duckmäusertum für vorteilhafter hielten als Solidarität. Durch dieses klägliche Verhalten wurde die ganze Misere ausgelöst. Aber der Kampf ist noch lange nicht entschieden. Der Stratege hat den Ausgang der Schlacht im Auge, die strategisch Unfähigen dagegen immer nur den Ausgang des nächsten Gefechts. Lieber in Würde scheitern als in Charakterlosigkeit überleben.

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  12. Jens Schulenburg17.03.12, 18:27

    Drei ZVs fast zur selben Zeit durch Umdrehen von ein bzw. zwei der BR Mitglieder zu Neuwahlen zu zwingen, sagt alles aus über die Arbeit der SZ-Logistik! Allerdings haben inzwischen viele Mitarbeiter kapiert was Sache ist. Weiterkämpfen ist angesagt.

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  13. Jens Schulenburg17.03.12, 18:36

    Die Menschen, die heute noch ihren Mund aufmachen und deshalb ausgegrenzt werden und trotzdem zu ihrer Meinung stehen, werden zum Schluß gewinnen.
    Leute, die durch ihre miese Gegenarbeit momentan profitieren, werden am Ende immer verlieren. Spätestens bei der Rente durch Hartz IV.

    Bleib hart, auch wenn Anwälte und andere was anderes behaupten! Es gibt nichts mehr zu verlieren! Deine Mannschaft verläßt sich auf dich.

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  14. Nachdem in unserem Haus (obere Au) bekannt geworden ist, warum unsere Zeitungen seit drei Wochen nicht mehr vor der Tür liegen, werden wir wohl die Abos kündigen und das auch der Geschäftsführung der SZ mitteilen. Nun würde uns nur noch interessieren, wer unseren Hausschlüssel bekommen hat. Den wollen wir nämlich schon gerne wieder haben.

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    1. Liebe/r Anonym: Die Schlüssel wurden an den Geschäftsführer der ZVZ Zentrum GmbH übergeben. Nach dessen Auskunft sind sie "im Besitz" der SZ Logistik GmbH, zu erreichen über die Adresse der Süddeutschen Zeitung.

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  15. Jüngere Kommentare wurden versehentlich gelöscht (siehe Blog 25.3.)

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