03.05.2013

Schriftliche Urteilsbegründung zum Betriebsübergang ZVZ / ZMC



Das fröhliche Gründen, Fusionieren, Schließen und Verkaufen von "Gesellschaften mit beschränkter Haftung" gilt heute in vielen Betrieben als Beleg für kreative Geschäftsführung. Lassen sich damit doch ganz prima Haftungsrisiken minimieren, Gewinne verschieben und Personalkosten "optimieren". Zudem verlieren Arbeitnehmer ganz schnell ihre Schutzrechte: Kündigungen werden einfacher, Sozialpläne bleiben auf der Strecke, Einkommen und andere Vertragsbedingungen können ohne große Hindernisse eingedampft werden.

Lästig sind dabei nur noch die Schutzbestimmungen des § 613a BGB zum Betriebsübergang. Denn dabei werden die bestehenden Vertragskonditionen (Gehalt, Urlaub, Arbietszeit etc.) geschützt - und zudem darf im Zusammenhang mit dem Übergang nicht gekündigt werden.Damit das schöne GmbH-Mikado durch den § 613a BGB nicht allzu stark beeinträchtigt wird, sind Heerscharen von Arbeitgeber-Anwälten damit beschäftigt, Schlupflöcher für die Umgehung des "613a" zu finden. Dabei sind sie oft erfolgreich.   

Zur Klärung des (häufigen) Steitfalls, ob ein Betriebsübergang vorliegt oder nicht , hat die Rechtssprechung diverse Kriterien aufgestellt. Die sind bei isolierter Betrachtung in der Tendenz nicht gerade "arbeitnehmerfreundlich". (Schließlich ist ja auch das freie Unternehmertum geschützt).  Anders gesagt: die Schlupflöcher sind schon eher Scheunentore. Ganz in diesem Sinne hat denn auch die Süddeutsche Zeitung die Zustellung in München organisiert.

Doch das half ihr jetzt nichts. Denn die Kammer 1 beim Arbeitsgericht München stellt unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2001/23 EG fest, dass es nicht auf die isolierte Betrachtung einzelner Kriterien ankommt, sondern stets eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist.

Und unter dieser Maßgabe fand die Kammer 1 eine ganze Reihe von Kriterien, die den Betriebsübergang belegen:

a) Der Betriebszweck ist gleich geblieben. Dieser ist die Zustellung bestimmter Tageszeitungen in einem abgegrenzten räumlichen Bereich an die Hausadresse und die jeweilige private Empfangseinrichtung (Briefkasten, Rolle, Wohnungstür) der Abonneten durch eigene Zusteller.

b) Die ausgeführten Tätigkeiten sind vor und nach dem Betriebsübergang praktisch identisch.

c) Es kam zu keiner Unterbrechung der Tätigkeit. Vielmehr erfolgte die unmittelbare Nachfolge der Zustellung durch die ZVC.

d) Die Kundschaft ist gleich geblieben. (Für die Münchner Zustellgesellschaft ist nicht der Abonnent die Kundschaft, sondern die SZ Logistik GmbH!)

e) Die maßgeblichen Betriebsmittel sind übergegangen. Im Rahmen der Organisation der Münchner Zeitungszustellung sind die Haustürschlüssel maßgebliches Betriebsmittel!

f) Die Übernahme der Touren durch die ZVC erfolgte durch Rechtsgeschäft.

Einige interessante Erläuterungen dazu:

Die Organisationsänderung nach Übernahme durch die ZVC (Aufgabe der Verteilstellen und Direktanlieferung an Ablagen, Routenänderung bei den Touren) sind im vorliegenden Fall unbedeutend. Sie dokumentiert nur die Organisationshoheit der SZ Logistik GmbH innerhalb der Dienstleistungskette. Sie ändert auch nichts am Betriebszweck.

Die Haustürschlüssel sind nicht am "freien Markt" erhältlich. Ihr Einsatz ist unverzichtbar für die ordnungsgemäße Auftragserfüllung. Sie sind damit prägend und maßgebliches Betriebsmittel. Es ist nicht erheblich, ob die Schlüssel im Besitz der ZV oder der SZ Logistik sind.

Im vorliegenden Fall ist hinsichtlich der Auftragsnachfolge (die nicht zwingend ein Betriebsübergang sein muss) zu berücksichtigen, dass die SZ Logistik GmbH in München eine Monopolstellung einnimmt und die Auftragsvergabe innerhalb des SV Konzerns steuern kann. Die Neuvergabe ist nicht Folge des freien Wettbewerbs, vielmehr wird durch Fakten belegt, dass von Anfang an die unveränderte Übertragung der wirtschaftlichen Einheit geplant war.

Es darf vermutet werden, dass die Beklagtensseite in Revision gehen wird. Geld spielt bekanntlich keine Rolle, wenn die Rechtssprechung nicht passt. Wir dürfen uns dennoch erst einmal freuen, dass sich die Kammer 1 beim Arbeitsgericht München die Mühe gemacht hat, die ganze Organisations- und Gesellschafterstruktur sehr genau anzuschauen und im Hinblick auf die Schutzwirkung, die der § 613a für die Arbeitnehmer entfalten soll, zu werten.  -> Für unsere Leser/innen ausserhalb Münchens ist zu beachten, dass sich das Urteil auf die spezifischen "Münchner Verhältnisse" stützt und nicht ohne Weiteres auf andere Zustellbetriebe übertragbar ist.